Die Arbeitswelt erlebt auf vielen Ebenen einen fundamentalen Wandel. Während früher der Lebenslauf und prestigeträchtige Abschlüsse über Karrierewege entschieden, zählen heute mehr und mehr die tatsächlichen Fähigkeiten. Diese Entwicklung kommt zur richtigen Zeit, denn der Fachkräftemangel zwingt Unternehmen zum Umdenken.
Der Paradigmenwechsel in der Praxis
„Wer hätte gedacht, dass unsere beste Java-Entwicklerin früher Floristin war?“, berichtet Thomas Meier, HR-Leiter eines Zürcher Software-Unternehmens. Seine Firma hat vor zwei Jahren auf Skills-Based Hiring umgestellt. Seither konzentriert sich das Recruiting-Team auf die tatsächlichen Fähigkeiten der Bewerbenden – mit erstaunlichen Resultaten.
Die Zahlen sprechen für sich: 90 Prozent der Unternehmen, die auf kompetenzbasiertes Recruiting setzen, verzeichnen deutlich niedrigere Rekrutierungskosten. Noch wichtiger: Die Zufriedenheit der neu eingestellten Mitarbeitenden liegt signifikant höher als bei traditionell rekrutierten Kollegen.
So funktioniert moderne Personalauswahl
Statt standardisierter Bewerbungsgespräche setzen fortschrittliche Unternehmen auch immer mehr auf praxisnahe Assessments. Bei einer Bank lösen Kandidaten für die Kundenberatung beispielsweise realistische Fallstudien. Eine Marketing-Agentur lässt potenzielle Content Manager einen Blog-Artikel verfassen – unter echten Zeitvorgaben und mit echtem Briefing. Das neue Recruiting-Denken beginnt jedoch bereits bei der Stellenausschreibung. „Wir haben alle akademischen Anforderungen gestrichen“, erklärt Sarah Brunner von einem führenden Telekom-Unternehmen. „Stattdessen beschreiben wir präzise, welche Fähigkeiten der Job wirklich erfordert.“
Die Vorteile sind relevant und überzeugen
Der neue Ansatz beeinflusst den Talentpool nachhaltig und einschneidend und erweitert ihn vor allem. Quereinsteiger, die sich Fähigkeiten autodidaktisch angeeignet haben oder talentierte Wiedereinsteiger(innen), erhalten beispielsweise faire und neue Chancen und Beachtung. Unternehmen profitieren zudem auch von diversen Teams und frischen Perspektiven. Zudem sinkt die Fluktuation, weil die Passung zwischen Job und Mitarbeitenden eher von Anfang an stimmt. Zudem erhalten auch Praxisbeachtung und -relevanz und erbrachte Leistungen und Erfolg mehr Gewicht.
Was die Zukunft bringt
Der Trend zum Skills-Based Hiring wird sich verstärken. Die digitale Transformation macht lebenslanges Lernen zur Norm. Traditionelle Ausbildungswege verlieren an Bedeutung, während praktische Fähigkeiten und die Bereitschaft zur kontinuierlichen Weiterentwicklung in den Vordergrund rücken. Lebenslauf, Arbeitszeugnisse und Abschlüsse von Aus- und Weiterbildungen sollen deswegen aber nicht an Bedeutung verlieren oder nur noch eine Nebenolle spielen. Vielmehr sollen kompetenzbasierte Kriterien neu hinzukommen und Einstellungsentscheide erweitern und qualitativ verbessern.
Fazit: Ein Gewinn für alle Beteiligten
Das neue Recruiting Skills statt Zeugnisse markiert einen historischen Wendepunkt in der Arbeitswelt. Zum ersten Mal seit der industriellen Revolution verlieren formale Bildungsabschlüsse ihre dominierende Rolle bei der Personalauswahl. Diese Entwicklung kommt zur richtigen Zeit, denn der Schweizer Arbeitsmarkt steht vor gewaltigen Herausforderungen.
Für Arbeitnehmende eröffnen sich völlig neue Perspektiven. Die Biologin, die sich zur Data Scientist entwickelt hat, der Schreiner mit ausgeprägtem Verkaufstalent oder die ehemalige Servicefachfrau mit exzellenten Projektmanagement-Skills – sie alle profitieren von der neuen Offenheit der Unternehmen. Ihre tatsächlichen Fähigkeiten zählen mehr als die Einträge im Lebenslauf.
Auch die Wirtschaft gewinnt durch diesen Paradigmenwechsel. Unternehmen erschliessen sich neue Talentpools und erhöhen ihre Innovationskraft durch diverse Teams. Die Praxis zeigt: Quereinsteiger bringen oft besonders wertvolle Perspektiven mit und zeichnen sich durch hohe Motivation und Lernbereitschaft aus. Sie haben bewiesen, dass sie sich eigenständig weiterentwickeln können – eine Schlüsselkompetenz in Zeiten des digitalen Wandels.
0 Kommentare zu “Skills statt Abschlüsse: Das Recruiting neu denken”