„Richtig sieht man nur mit dem Herzen; das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“ Was Antoine de Saint-Exupéry seinen „Kleinen Prinzen“ sagen lässt, erkennt nach und nach auch die Wirtschaft. Mit Konsequenzen: Der Stellenwert von gefühllosen Machern ist im Sinken begriffen – gefordert werden emotionale Chefs.
Gastbeitrag von Alex Müller
Im globalisierten Hightech-Zeitalter haben wir vergessen, dass es neben unserer Grosshirnrinde, wo unser logisches, analytisches und digitales Denken angesiedelt ist, auch noch eine emotionale Hirnhälfte gibt. Der Intelligenzquotient – kurz IQ – ist lange Zeit das (einzige) Mass aller Dinge, die Messlatte für kluge Köpfe gewesen. Doch der blanke Verstand ist nicht alles, wie nachfolgendes Beispiel zeigt: Das Getränkeunternehmen Pepsi hat schon vor einiger Zeit eine globale Studie in Auftrag gegeben und das Führungsverhalten der Bereichsleitungen durchleuchtet. Dabei zeigte sich:
Jene Abteilungen, die von Menschen mit hohen emotionalen Kompetenzen geführt wurden, haben das Soll um 15 bis 20 Prozent überschritten. Abteilungen mit emotional schwachen Vorgesetzten erreichten hingegen das vorgegebene Soll nicht. Für ein Unternehmen in der Grössenordnung von Pepsi ergibt sich daraus sehr rasch ein Unterschied von mehreren hundert Millionen Dollar.
Top-Fachwissen allein genügt nicht
Top-Fachwissen allein reicht somit nicht (mehr) aus für eine Führungskraft, auch der emotionale Bereich – man spricht in diesem Zusammenhang vom emotionalen Quotienten (EQ) – muss stimmen. So bildet zum Beispiel die Motivationsfähigkeit einen enorm wichtigen Teil der Managementverantwortung.
Jahrzehntelang reichte ein hoher IQ für den Weg nach oben. Doch in den letzten Jahren ist die soziale Kompetenz, etwa die Kontakt- und Konfliktfähigkeit immer wichtiger geworden. Das Bild des ausschliesslich rational denkenden Machers, der gegen Gefühle immun ist, dürfte mehr und mehr der Vergangenheit angehören. Ein „Mister Eisenfaust“ ist im Zuge der gewachsenen Führungsanforderungen nicht mehr gefragt. Solche Vorgesetzte verunmöglichen eine Teambildung, züchten Ängstlichkeit und Frustration. Dadurch sinkt die Produktivität, und es kann unter den Mitarbeitenden zu schlimmen Mobbing-Fällen kommen.
EQ sogar wichtiger als IQ
Laut einer von Egon Zehnder International (Unternehmensberatung) veröffentlichten Studie ist die emotionale Intelligenz die entscheidende Erfolgsqualität für Führungspersönlichkeiten; sie sei ungleich wichtiger als die rationale Intelligenz, die bislang oft überschätzt worden sei.
Emotionale Kompetenz als „Metafähigkeit“
„Was die emotionale Intelligenz so wichtig macht, ist der Zusammenhang zwischen Gefühl, Charakter und moralischen Instinkten“. Manches spreche dafür, dass ethische Grundhaltungen im Leben auf emotionalen Fähigkeiten beruhten – dies ist eine der Kernaussagen des Wissenschaftsjournalisten und Buchautors Daniel Goleman, des „Erfinders“ des EQ; er sieht in der emotionalen Intelligenz eine „Metafähigkeit“, von der es abhängt, wie gut wir unsere sonstigen Kompetenzen, also auch die intellektuellen, zu nutzen verstehen.
Vieles weise darauf hin, so Goleman, dass Menschen, die ihre eigenen Gefühle kennen und beherrschen und auch die Gefühle anderer erkennen und erfolgreich mit ihnen umzugehen wissen, in allen Lebenssituationen im Vorteil sind. Emotional kompetente, das heisst emotional intelligente Menschen hätten eine gewisse Kontrolle über ihr Gefühlsleben, ohne deswegen auch nur im geringsten gefühlsarm zu sein. Deshalb hätten sie auch eher die Fähigkeit zu konzentrierter Arbeit und zu klarem Denken.
Der Erfolgsautor tritt also der ihm allenthalben zugeschriebenen Meinung entgegen, emotionale Intelligenz bedeute schlechthin, den Gefühlen und damit verbundenen Leidenschaften „einfach“ freien Lauf zu lassen.
EQ ist entwicklungsfähig
Bekanntlich ist der Intelligenzquotient (IQ) massgeblich genetisch bestimmt; er verändert sich demzufolge im Verlaufe unseres Lebens kaum. Im Gegensatz dazu können wir an unseren emotionalen Fähigkeiten (EQ) lebenslang arbeiten. Wenn beispielsweise auf den Feldern der emotionalen Selbstkontrolle und der Empathie, das heisst des Einfühlungsvermögens in die Sichtweisen anderer, Defizite bestehen, so kann uns eine Drittperson (z.B. ein Coach) aufzeigen, wie solche Mängel zu verheerenden Folgen auf das Arbeitsklima und die Leistungen führen können, aber auch, wie sie zu beheben sind.
Aber bitte keine Zirkus-Nummern
An einem Wochenend-Seminar oder in einem Intensivkurs lassen sich die fehlenden Komponenten der emotionalen Intelligenz allerdings nicht erwerben – dies sagt Goleman deutlich: „Es ist blanker Unsinn, einen gefühlsarmen Firmenboss zwei Tage lang in einen Kurs zu schicken, um ihm Sozialkompetenz beizubringen.“ Bei solchen Übungen sei kein Return on Investment zu erwarten. Goleman wird noch deutlicher, wenn er den Mahnfinger gegen schnelle „Weichspüler“ (damit meint er „Schnellbleiche-Kurse“) zur Erlangung der so genannten „Soft skills“ erhebt: „Bei der Vermittlung emotionaler Fähigkeiten ist Nachhaltigkeit gefragt, denn es geht dabei um Verhaltensänderungen.
Und Verhaltensänderungen entstehen nur durch Wiederholung.“ Auf das Beispiel eines heutigen Managers übertragen, bedeutet dies: Anstatt zwecks persönlicher Weiterentwicklung über Felsabgründe zu hangeln, wäre es besser, wenn dieser seine (emotionalen) Defizite erkenne, an ihnen täglich arbeite und die menschlichen Umgangsformen lerne und einübe. Ein solches Training „on the job“ könne durch Coaching und Prozessbegleitung besser unterstützt werden als durch Zirkus-Nummern in der geschilderten Art.
Verhaltensänderung braucht Übung
Warum ist es eigentlich so schwierig, eine latent vorhandene Neigung zu Ausbrüchen zu beherrschen und anstelle einer Schimpftirade den konstruktiven Dialog zu setzen, bei dem der andere wenigstens die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt darzulegen, ohne dass ihm gleich über den Mund gefahren wird? Warum sind wir trotz gutem Willen zu positiven Veränderungen vor Rückfällen in alte Verhaltensweisen nicht gefeit? Warum dauert es oft Monate, um emotional bedingte Fehlhandlungen zu korrigieren? Fragen über Fragen, denen wir uns besonders als Führungskraft stellen müssen und deren Beantwortung nichts mit dem von uns angewandten Führungsstil zu tun hat. Denn:
• Bei emotionalen Handlungen/Inhalten sind nicht ausschliesslich das Denkzentrum (Neokortex), sondern alle für die Emotionen zuständigen Zentren im Gehirn beteiligt. Unser für das Erlernen von Fachkompetenzen und den Erwerb kognitiver Fähigkeiten zuständiges Denkzentrum nimmt Wissen sehr schnell auf.
• Dies gilt aber nicht für die emotionalen Gehirnzentren. Bei ihnen bedarf es ständiger Wiederholung und Übung, bis ein neues Verhalten „sitzt“. Die Verbesserung und Erweiterung unserer emotionalen Fähigkeiten verlangt daher tatsächlich eine Veränderung unserer Gewohnheiten. Spielen wir also auf der Tastatur der eingangs erwähnten Komponenten unseres EQ und erzeugen wir damit einen harmonischen Klang. Wenn wir auch (noch) nicht das ganze Repertoire beherrschen, so ist kein Grund zur Resignation vorhanden – im Gegenteil: Nehmen wir die Herausforderung an, es lohnt sich!
Emotionale Intelligenz gehört in die Lehrpläne
Man könnte die emotionale Intelligenz auch „mit Intelligenz gepaarte Emotionalität“ nennen. Richtigerweise wird ihr bei der Management-Schulung ein stetig wachsender Stellenwert eingeräumt, nicht zuletzt auch deshalb, weil heutzutage die Kommunikation 50 bis 80 Prozent der Manager-Tätigkeit ausmacht. Der Bestseller-Autor Goleman geht auch hier noch einen Schritt weiter:
Um das Übel – also die fehlende Sozialkompetenz – gewissermassen an der Wurzel zu packen, setzt er auf die Schule als Vermittlerin der emotionalen Intelligenz, die man durchaus auch „Ethik“ nennen könnte. „Noch immer konzentrieren sich unsere Bildungsstätten zu sehr auf akademische Fähigkeiten, dabei übersehen sie den Stellenwert der emotionalen Intelligenz“, stellt er fest. So müssten Schüler lernen, Konflikte friedlich zu lösen. Dabei geht es darum, sowohl mit den eigenen Gefühlen als auch mit denen der anderen bewusster, fantasievoller und sensibler umzugehen. In dieser Richtung sei der Auftrag an die Schulen zu erweitern.
Den Verstand nicht allein lassen…
Abschliessend sei festgehalten, dass die Ratio, das heisst die Fähigkeit zur nüchternen Analyse, zu konzeptionellem Denken und Handeln, zu umsichtiger Planung und zur Ausarbeitung möglicher Szenarien ohne jeden Zweifel ein wesentlicher Faktor einer kompetenten Führung ist und bleiben wird – nicht zuletzt in schwierigen Lagen. Doch der berühmte Satiriker Ephraim Kishon bringt es auf den Punkt, wenn er in seiner unnachahmlichen Art auf die Risiken des „allein gelassenen“ Verstands hinweist: „In Amerika wurde eine Maschine erfunden . . . Sie pflanzt Kartoffeln, bewässert sie, erntet sie ab, wäscht sie, kocht sie und isst sie auf.“
So bewerten Leader den EQ
„Frauen haben Stärken, die von Vorgesetzten und Psychologen gerne bei passender Gelegenheit aus der Schublade gezogen werden: Darunter das viel strapazierte Wort von der Sozialkompetenz, Verantwortung, Ethik, Denken in Zusammenhängen und Respekt vor dem Leben. Frauen pflegen Netzwerke und diese könnten gerade in Zeiten der coolen Vernetzung etwas bewirken: Im persönlichen Gespräch mit Mitarbeitern, Vorgesetzten und Kunden da aufzuholen, wo andere nur mit einer schicken Website winken. Es ist die Zeit gekommen, wo Menschen an der Führungsspitze ihren menschlichen Mehrwert in ihre tägliche Arbeit einbringen und mit dieser kostbaren Essenz wieder neue ethische, soziale und verantwortungsvolle Leitplanken setzen.“
Dr. phil. Sonja A. Buholzer, Buchautorin und Inhaberin der Vestalia Vision Wirtschafts- und Unternehmensberatung
„Was ist emotionale Intelligenz? Selbsterkenntnis (sie führt zu Selbstvertrauen), Selbstbestimmung (führt zu Offenheit gegenüber Neuem), Motivation (führt zu Optimismus und Durchhaltewillen), Empathie (führt zu erfolgreichem Umgang mit anderen) und soziale Kompetenz (führt zu Überzeugungskraft). Eine Untersuchung hat gezeigt, dass die emotionale Intelligenz ungleich wichtiger als die rationale Intelligenz ist.“
Dr. Mark R. Hoenig, Geschäftsführender Partner der Dr. Egon Zehnder & Partner
„Letztlich müssen Resultate erreicht und die Existenz und das Überleben eines Unternehmens gesichert werden. Wie nütze ich die Emotion, um diese Ziele zu erreichen? Zum einen muss der Belegschaft eine Sinnfindung sowohl für die Firma als auch für den einzelnen Mitarbeitenden gegeben werden. Zum andern muss eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen werden. Es darf keine Angst herrschen. Auf rationale Intelligenz kann aber nicht verzichtet werden. Es geht nicht um ein Entweder-Oder. Ich halte es mit Aristoteles und nenne als Elemente der Unternehmensführung die Begriffe Ethos (Moral), Pathos (Gefühl) und Logos (Intelligenz).“
Dr.rer.pol. Alex Krauer ehemaliger UBS-Verwaltungsratspräsident
Der Gastautor Alex Müller
Alex Müller war nach längeren Auslandaufenthalten als Personalverantwortlicher bei einer grösseren Bank und später als HR-Leiter einer psychiatrischen Universitätsklinik tätig, wo er reiche Erfahrungen in allen Sparten des Personalmanagements sammeln konnte. Heute arbeitet er als freier Fachautor und Publizist sowie als selbstständiger Berater von Führungskräften, mit Schwerpunkt Out-/Newplacement.
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