Psychische Probleme am Arbeitsplatz häufen sich. Man spricht zwar eher darüber als früher und steht zu Burn-outs und Depressionen. Doch oft werden Probleme noch immer tabuisiert, nicht oder zu spät erkannt oder angegangen.
Aus vielen Studien und Statistiken geht immer wieder hervor, dass psychische Probleme mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit immer häufiger auftreten. In vielen Fällen wird den Betroffenen die Stelle gekündigt. Kollegen und Vorgesetzte sind mit der Situation oft überfordert und professionelle Hilfe wird nur in wenigen Fällen zugezogen.
Aufhorchen lässt die Erkenntnis, dass die IV von den betroffenen Arbeitgebern auch nicht als Problemlöser wahrgenommen wird. Daniel Hell, Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, schätzt, dass in der Schweiz jeder Arbeitnehmer jährlich aus psychischen Gründen während zweier Arbeitstage nicht zur Arbeit erscheint und elf Prozent aller Fehltage auf das Konto psychischer Erkrankungen gehen.
Ursachen und Gründe
Die Ursachen und Gründe können vielfältig sein: Leistungsdruck, Überforderung, Konkurrenzkämpfe, selbst auferlegter Karrierestress, ein negatives Arbeitsklima, Angst vor Verlust des Arbeitsplatzes, Kumulation von privaten und beruflichen Problemen aber auch Mobbing sind einige Gründe. Psychische Leiden können aber auch Menschen treffen, die in ihrer Arbeit unkalkulierbaren und negativen Stresssituationen ausgesetzt sind, wie Kundenreklamationen im Minutentakt in einem Call Center oder besonders risikobehaftete Stellen und Aufgaben. Auch ein negatives Arbeitsklima hat Auswirkungen sowohl auf die psychische wie auch auf die physische Gesundheit.
Doch auch subtilere, hintergründige Defizite können die Ursache sein, etwa fehlende Anerkennung oder Perspektiven, Verfehlen von Karrierezielen, Versagen in wichtigen Leistungen oder Projekten und mehr. Zudem sind vor allem Mitarbeiter, welche sich stark mit Stelle und Arbeit identifizieren, ein ausgeprägtes Leistungsbewusstsein haben, verbunden mit hohen Anforderungen an sich selber und Sensibilität oft besonders gefährdet.
Mögliches Gegensteuer
Die deutliche Zunahme psychischer Erkrankungen erklären sich die Psychotherapeuten inzwischen aber auch mit besseren Diagnosen und auch die Enttabuisierung führt dazu, dass mehr Mitarbeiter als früher dazu stehen und psychische Erkrankungen als solche auch erkennen. Ein gutes Arbeitsklima, Hilfestellung von HR-Abteilungen, empathische Führungskräfte, stabile Partnerschaften oder auch nur engagierte und entspannende Hobbys können psychischen Problemen entgegenwirken oder die Auswirkungen abmildern.
Starke Zunahme von Depressionen
Vor allem Depressionen sind eine stark zunehmende und oft verkannte psychische Erkrankung, die oft nur schwer zu diagnostizieren und nicht auf den ersten Blick erkennbar ist und nach wie vor tabuisiert wird. Sie sind für Betroffene sehr belastend und wirken sich auf Motivation und Leistungsfähigkeit deshalb äusserst negativ aus, da meistens gerade der Antrieb, die Perspektiven und die Motivation darunter leiden. Es gibt Experten, die davon ausgehen, dass Depressionen im Jahre 2020 die zweithäufigste Krankheit sein werden.
Massnahmen zur Früherkennung
Wichtig ist die Früherkennung, die Kenntnis von Symptomen, die schnelle und adäquate Reaktion und die Sensibilisierung von Personalverantwortlichen und Führungskräften. Die zentrale Frage ist: Wie kann man Anzeichen drohender psychischer Beeinträchtigungen oder gar latent bestehender Erkrankungen erkennen? Führungskräfte sind keine Therapeuten und können die Vielfalt der möglichen Symptome selten treffend erklären und sie sollten deshalb auch keine Diagnosen stellen.
Spezifische Ausbildungen für Führungskräfte HR-Fachleute, Informationen über Gesprächspartner und Anlaufstellen, vor allem im HR, Programme der betrieblichen Gesundheitsförderung, Gesprächsschulungen, Vertrauenstherapeuten, Kontaktaufnahme mit der IV und die Selbst- und Sozialkompetenz der Vorgesetzten sind einige konkrete Möglichkeiten.
Erkennen von Symptomen psychischer Probleme
Wichtig und möglich ist jedoch, potenzielle Merkmale psychischer Erkrankungen zu erkennen und bei auch unscheinbaren Verhaltensveränderungen aktiv zu werden. Solche Veränderungen und Symptome können gemäss dem Internetportal www.compasso.ch, eine schweizweite Informationsplattform für Arbeitgeber, die folgenden und von uns hinzugefügte sein:
- Sozialer Rückzug und Scheu vor Kontakt bis zur Isolation
- Fernbleiben von Sitzungen und anderen Teamveranstaltungen
- Übersteigertes Mitteilungsbedürfnis bis hin zu Selbstgesprächen
- Gefühlsausbrüche, unkontrolliertes disziplinloses Verhalten
- Aussergewöhnliche Unruhe, Ruhelosigkeit, Angespanntheit
- Äusserungen von Angstgefühlen oder gar von Lebensüberdruss
- Vernachlässigung oder übertriebene Pflege der äusseren Erscheinung
- Stark veränderte Ess- und Mittagszeitgewohnheiten
- Lust- und Perspektivlosigkeit und stark negative Haltungen
- Auffallend häufige Abwesenheiten und Krankheitsmeldungen
- Stark abnehmendes Interesse an Arbeit und Leistungen
- Auffallende Gleichgültigkeit bis hin zur Apathie
- Mögliche Einnahme von Psychopharmaka oder Alkoholismusverdacht
- Konzentrationsprobleme und häufig auftretende Gedächtnisstörungen
- Abnehmende Arbeitsleistung und zunehmende Fehlerhäufigkeit
Psychisch erkrankte Mitarbeiter werden oft als „schwierig“, eigen oder als Sonderlinge, nicht aber als krank wahrgenommen. Deshalb sind generelle Informationen und Hinweise an alle Mitarbeiter wichtig, um hier hellhöriger zu werden und das Bewusstsein für psychische Erkrankungen zu stärken. Wichtig ist, jeweils vor allem das Gespräch zu suchen und mit Empathie auf Beobachtungen hinzuweisen, nach dem Wohlergehen zu fragen, Probleme eruieren zu können oder nach Gründen für offensichtliche Stimmungstiefs zu fragen.
Nach einer Analyse der Situation und allenfalls dem Beizug fachkundigen Rats oder Weiterverweisung an Psychologen sollten verschiedene Massnahmen geprüft werden, welche vor allem zum Ziel haben sollten, dass die betroffene Person weiterhin im Unternehmen arbeiten kann und bereit ist, sich in therapeutische Behandlung zu begeben. Infrage kommen zum Beispiel eine Umplatzierung im Unternehmen mit weniger Leistungsdruck oder Belastungen, reduzierte oder vereinfachte Aufgabenkataloge, eine Umschulung, die vorübergehende Anpassung des Arbeitspensums oder reduzierte Arbeitszeiten.
Schneller handeln und Fachleute beiziehen
Um Unternehmen finanziell zu entlasten, kann die Invalidenversicherung für die Kosten von Massnahmen aufkommen und während maximal eines halben Jahres einen Einarbeitungszuschuss ausrichten, wenn der Mitarbeitende vorübergehend nicht voll leistungsfähig ist. Aus der oben genannten BSV-Studie ergeben sich über die obigen Erkenntnisse hinaus weitere wie die folgenden, die wir hier in gekürzter Form wiedergeben:
- Die Personalverantwortlichen schätzen den Anteil von Mitarbeitenden, die jemals ein psychisches Problem hatten, auf 25 %. In den kleinen Unternehmen liegt der Anteil sogar bei rund 50%.
- Die „Lösung“ des Problems besteht in 9 von 10 Fällen in einer Kündigung, auch wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses oft erst nach länger dauernden Lösungsversuchen erfolgt.
- Vorgesetzte und Personalverantwortliche verfügen zwar durchaus über eine präzise Wahrnehmung des „schwierigen“ Mitarbeiterverhaltens. Aber die Intervention erfolgt selten problemspezifisch.
- Wie stark Mitarbeitende mit psychischen Problemen den Betrieb belasten, hängt auch mit der Teamkultur zusammen: Teams mit einem transparenten Umgang mit Fehlern scheinen weitaus tragfähiger zu sein.
Die Studie belegt, dass die häufige berufliche Ausgliederung von Mitarbeitenden mit psychischen Problemen nicht ausschliesslich an deren „schwierigem“ Verhalten festgemacht werden kann. Vielmehr tragen alle Beteiligten (Vorgesetzte, HR-Fachleute, Teams, IV-Stellen usw.) zum meist negativen Verlauf in einem komplexen Umfeld bei.
Besonders bedauerlich ist der Umstand, dass in der Praxis nur sehr selten und wenn überhaupt oft zu spät externe Stellen und Hilfe zur Problemlösung beigezogen werden. Dadurch können Probleme in Leistung und Team oft eskalieren, Lösungen werden erschwert und vor allem Betroffene isolieren sich noch stärker, was ein Verbleiben im Unternehmen dann verunmöglicht.
Das Internetportal Compasso, eine schweizweite Informationsplattform für Arbeitgeber zur beruflichen Eingliederung bietet zahlreiche praktische Hilfestellungen und Informationen wie Praxisseminare und Weiterbildungen, Literatur und Artikel, Unterlagen der IV-Stellen, Merkblätter der Informationsstelle AHV/IV, Gesprächsleitfaden und diverse andere Werkzeuge.
0 Kommentare zu “Psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz: Noch immer ein Tabu?”