Bei immer mehr Unternehmen macht sich Ernüchterung breit, dass Social Media nach wie vor – Facebook beispielsweise besteht bereits seit 10 Jahren – die Erwartungen nicht erfüllt und sich das Social Recruiting als Hype herausstellen könnte.
Die folgenden Fakten aus zahlreichen Studien – einige aus dem Social Media Recruiting Report von Eva Zils – sind nur einige wenige konkrete Beispiele, die dies belegen:
- Bei über 60% der Unternehmen ist Social Recruiting nach wie vor kein Thema
- Noch immer erfolgt nur ein geringer Teil der Stellenbesetzungen durch Social Media
- Social Media Recruiting findet bei Stellensuchenden nur geringe Resonanz
- Nur ein Viertel der Recruiter nutzt Active Sourcing-Tools bei sozialen Netzwerken
- Über die Hälfte der Recruiter verbringen keine Zeit mehr mit sozialen Netzwerken
- Fast 90% der Personaler nutzen Facebook und seine Möglichkeiten nicht
Wo aber könnten die Gründe liegen? Weshalb kehren so viele Recruiter sozialen Netzwerken den Rücken oder haben sich gar nie mit ihnen auseinandergesetzt? Warum ist aber auch die Resonanz und Bereitschaft von Kandidaten und Stelleninteressierten so gering, sich für Stellenangebote zu interessieren oder sich gar im Active Sourcing ansprechen zu lassen? Einige Erklärungsversuche und mögliche Gründe:
Das inhaltliche Umfeld passt nicht
Das inhaltliche Umfeld sozialer Publikums-Netzwerke besteht mehrheitlich aus privaten und freizeitbezogenen Inhalten und Postings. Plaudereien, Urlaubsfotos, letzte News aus der letzten Party und Communities von sehr spezifischen heterogenen Interessengruppen dominieren. In einem solchen Umfeld ist die Bereitschaft und das Interesse gering, sich mit beruflichen Aspekten und Karrierefragen auseinanderzusetzen – geschweige denn, auf Jobsuche zu gehen. Wenn Freizeitthemen dominieren, liegen Recruiting Aktivitäten nun einmal so quer in der Landschaft, wie wenn Arbeitgeber bei traditionellen Medien auf die Idee kämen, Personal in Mode- oder Ausgehjournalen suchen zu wollen.
Dass dies ein Grund sein könnte, zeigen Xing und Linkedin, welche als Business-Netzwerke mit klarer fassbaren Zielgruppen und inhaltlichem Umfeld im Recruiting erfolgreicher zu sein scheinen, als reine Publikumsnetzwerke wie Facebook, Google+, Twitter und Youtube. Allerdings scheint sich auch hier das Active Sourcing beidseitig in Grenzen zu halten. Klassische Jobbörsen, Karriere-Websites und traditionelle Dienstleister stehen auch hier in der Bedeutung und im Anteil von Stellenbesetzungen immer noch klar vor Netzwerken, inklusive Xing und Linkedin.
Nicht viel anders ist die Situation bei Youtube: Gerade mal 12 Prozent Stellensuchender gaben gemäss embander-Studie an, sich Arbeitgeber-Videos auf Youtube anzusehen und ebenso wenig Recruiter nutzen das Video-Netzwerk. Auch bei Pinterest, einem Bilder-Netzwerk, ist es fraglich, wie es um den Informationswert von Unternehmensgebäuden und Arbeitsplatz-Snapshots und dem Interesse von Stellensuchenden daran steht.
Social Media steht in der Nutzung gemäss einer Studie von Socialmedia-recruiting.com an sechster Stelle
Die Zielgruppen passen nicht
So wie das inhaltliche und kommunikative Umfeld von sozialen Netzwerken nicht passt, sind es logischerweise auch die Zielgruppen, welche das Netzwerk für private Zwecke nutzen – und eine exakte Ausrichtung auf genaue Kandidatenprofile daher nur schwer und oft gar nicht möglich ist, denn Facebook ist ein Massen-Netzwerk ohne klares Nutzerprofil. Auch eine noch so grosse Reichweite, wie sie vor allem Facebook hat, fällt nicht ins Gewicht, wenn nicht die richtigen Zielgruppen mit der notwendigen Beachtungsbereitschaft für Recruiting-Aktivitäten anzutreffen sind. Auch wenn Targetingoptionen wie Ausbildungsgrad, Studienrichtung und mehr zwar möglich sind, Daten sind eben oft auch ungenau, irrfeführend oder veraltet.
Ein typisches Beispiel für diese These ist diese Aussage eines Facebook-Nutzers: „Die Werbungen in Facebook nerven. Ich bin nicht bei Facebook, um irgendwelche Dinge zu kaufen und langweilige Anzeigen zu lesen, sondern um mit Freunden in Kontakt zu sein und meine Freizeit zu beleben. Da nervt Werbung nur“. Man kann oder muss wohl davon ausgehen, dass dies nicht nur für die klassische Werbung, sondern ebenso für das Recruiting gilt – vor allem, was (Stellen)Anzeigen betrifft :-). Das Interesse gegenüber Arbeitgeberportaits wird wohl nicht wesentlich grösser sein.
Der Aufwand rechnet sich nicht
Der Ressourcenbedarf für den Aufritt und die Pflege einer Recruiting-Präsenz sind in zeitlicher, personeller und kostenmässiger Hinsicht erheblich und halten einer Kosten-Nutzen-Analyse nur selten stand. Ebenso selten steht der Aufwand im Verhältnis zur Qualität und Quantität von Bewerbungen. Sicherstellung der Aktualität, die Dialogpflege und das Handhaben neuer Funktionen sind nur einige der Aufwendungen, die sich ganz einfach nicht rechnen, wenn dann monatlich eine Handvoll halbwegs brauchbare Bewerbungen daraus resultieren.
Hinzu kommt, dass sich auch die Erfolgskontrolle schwierig gestaltet und letzten Endes auch oft unklar ist, wie gross der Anteil von Social Media-Aktivitäten an Recruitingerfolgen oder Stellenbesetzungen im gesamten Recruiting-Mix überhaupt ist. Es ist zudem illusorisch, von Personalern zu erwarten, sich mit Followern, Bewerbertraffic und Sharing- und Klickraten herumzuschlagen, wenn schon viele Onlinemarketer dies nicht wirklich schaffen.
Aber auch die aufwändige und komplexe Bewirtschaftung verschiedener Plattformen und der hohe schwierig zu organisierende Koordinations- und Kommunikationsaufwand – wenn Kommunikation denn überhaupt stattfindet – lässt den Aufwand schnell einmal ins Unermessliche steigen. Recruiter können nun einmal nicht nebenbei zu Medien-Spezialisten werden, die Hälfte ihrer Arbeitszeit als Stroyteller und Grafiker mit Contentproduktion verbringen und zwischendruch auch noch kritische Arbeitgeberfragen beantworten.
Ziele und Einsatzzwecke sind unklar
Unklar und verwirrend sind für Unternehmen oft auch der Zweck, welchen Netzwerke für sie im Social HR-Marketing im Allgemeinen und im Social Recruiting im Besonderen überhaupt erfüllen sollen – geht es um das Employer Branding, die klassische Personalsuche mit Job Ads, Mitarbeiterempfehlungen oder ist es eher der Aufbau eines Talente-Netzwerkes – und wo soll man was wie mit wem und welchen Tools angehen?
Solche Fragen sind nicht nur oft ungeklärt, sondern in Netzwerken auch schwer zu realisieren und führen dann nicht selten zu unklaren Wischiwaschi-Präsenzen, die Nutzer, nebst dem anzunehmenden geringen Beachtungswert, mehr verwirren als informieren und aktivieren. Das verhält sich in der traditionellen Medienwelt nicht anders: Medien für alle und alles ohne klare Positionierungen und Zieldienlichkeiten sind für spezifische Aufgaben und Anforderungen selten geeignet und erfolgreich.
Auswahl und Bewirtschaftung mehrerer Social Media-Plattformen sind keine leichte Aufgabe
Das Handling ist zu kompliziert
So sehr sich soziale Netzwerke auch bemühen, bedienerfreundlicher zu werden – noch immer sind sie in vielen Bereichen zu kompliziert, bieten eine unüberschaubare Vielzahl von Funktionen oder verunsichern mit unklaren Optionen. Permanente Neuerungen, der hohe Aufwand und die Komplexität der Contentproduktion kommen hinzu. Dies stellt viele Arbeitgeber auch vor das Problem, ohne Unterstüzung der IT nicht auszukommen, was aber vielerorts wieder organisatorische Fragen und Probleme aufwirft und die Beschaffungsprozesse noch mehr verkompliziert.
Vertrauen und Transparenz fehlen
Ein weiteres Problem sind die undurchsichtigen Datensammelaktivitäten vor allem US-amerikanischer Netzwerke und die diesbezüglich steigende Skepsis vieler Nutzer, und zwar arbeitgeber- und arbeitnehmerseitig. Facebook lässt seine Mitglieder beispielsweise im Dunkeln, was mit deren Daten geschieht und verlangt gar eine weltweite Lizenz für die Nutzung von Inhalten. Hinzu kommen Unsicherheiten durch Profil-Scans von Netzwerken bezüglich Persönlichkeitsrechten von Bewerbern und Datenschutzfragen, wenn es um heikle private Daten wie Meinungsäusserungen, Sharings oder die politische Ausrichtung geht.
Soziale Netzwerke tun hier, auch wenn Facebook Einstellungen zur Privatsphäre ermöglicht, zu wenig, um mit mehr Transparenz das Vertrauen zu stärken und Unsicherheiten zu beseitigen. Wer beispielsweise heikle Informationen nicht preisgeben möchte, muss sich durch zahlreiche Einstellungsmöglichkeiten kämpfen. Wie stark exponiere ich mich als Arbeitgeber mit heiklen Aussagen, wie geschützt und sicher sind Kandidatendialoge wirklich oder was geschieht mit meinen Daten und Aussagen, sind nur einige wenige Fragen, die schnell zu Unsicherheiten führen. Kommt hinzu, dass auch negative oder abschätzige Äusserungen von Stellensuchenden oder ehemaligen Mitarbeitern oder gar Shitstorms das Arbeitgeber-Image schnell schädigen können.
Quo vadis mit Social Media Recruiting?
Wie könnte es weiter gehen mit dem Social Recruiting? Wird es überhaupt je social werden und muss es das wirklich sein? Es könnte für immer ein Instrument unter vielen anderen bleiben, das nicht wirklich das Zeug zum relevanten Recruiting-Kanal hat. So ketzerisch dies für gewisse Social Media-Propheten auch klingen mag, ganz von der Hand zu weisen ist diese Möglichkeit nicht.
Oder aber es könnten Special-Interest-Netzwerke entstehen, die sich noch fokussierter und konsequenter mit Recruiting, Jobs und Arbeitswelt befassen und mit spezifischen Funktionen, Content und Vernetzungen für Stellensuchende und Recruiter somit interessanter wären. Denkbar ist auch, dass Jobportale die Möglichkeit entdecken, innovativer zu werden und adäquate Social Media-Elemente integrieren. Oder der Lernprozess und die Akzeptanz von Social Media dauert nutzer- und anbieterseitig einfach wesentlich länger, als bisher angenommen. Dann allerdings hätten Nutzer und Anbieter noch viel harte Arbeit vor sich.
Anmerkung
Dieser Beitrag befasst sich bewusst kritisch mit dem Thema und möchte einen Kontrapunkt setzen zur oft euphorischen und unkritischen Haltung vieler Social Media-Vertreter, -Akteure und -Dienstleister. Dass es aber auch Unternehmen gibt, die in sozialen Netzwerken mit kreativen Strategien und viel Lernbereitschaft und Einsatz von Know-how durchaus mit den notwendigen Ressourcen zusammen erfolgreich agieren, ist auch uns bewusst und bekannt…
Praxishandbuch zur Online-Personalarbeit
Roland Meyer Umfang: 280 Seiten ISBN: 978-3-906092-29-4 – Mit CD-ROM, allen Arbeitshilfen und auch mit E-Book – Erschienen im PRAXIUM Verlag, Zürich
Themen und Kapitel: Karriere-Websites – Das Employer Branding im Internet – Personalentwicklung und digitales Lernen – Online-Learning-Tools – Social Media und die HR-Präsenz – Interne Internetnutzung und Kommunikation. Der Aufbau und die Pflege von Kandidaten- und Talentpools, spannende vielfach kostenlose Online-Lerntools, die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten von Tablets als Lerninstrumente, Arbeitsrechtliches zum Datenschutz, Social Learning, HR-Präsenz auf sozialen Netzwerken sind weitere Themenbeispiele.
0 Kommentare zu “Social Recruiting: 6 Gründe, weshalb es oft nicht funktioniert”