Netflix hat nicht nur ein gewagtes Geschäftsmodell, das permanentes Wachstum und hohe Investitionen erfordert, sondern auch eine aussergewöhnliche Unternehmenskultur mit aussergewöhnlichen Grundsätzen, die sich jedoch sowohl auf den Unternehmenserfolg wie auch auf die Mitarbeiter-Zufriedenheit positiv auszuwirken scheinen.
Ferien so viel ihr möchtet
Die Mitarbeitenden von Netflix dürfen so viele Ferientage beanspruchen, wie sie möchten – Ferienregelungen kennt das Unternehmen nicht. Anfänglich bezogen einige zu viel, andere zu wenig. Der positive Effekt: der freie Ferienbezug senkt laut Firmenchef Hasting die administrativen Kosten und ist dadurch besonders für Spitzentalente der Generation Z und der Millennials attraktiv, die eigenbestimmte Freiheiten und eine Work-Life-Balance besonders hoch einstufen. Doch als den wesentlichen Grund, und dies ist ein interessanter, bezeichnet der Unternehmenschef das Vertrauen in die Mitarbeitenden, das damit signalisiert wird.
Kritisches Feedback ist ein Muss
Eine ausgeprägte Feedbackkultur gewinnt in vielen Unternehmen immer mehr an Bedeutung und wird als relevanter Bestandteil einer kommunikationsfreundlichen Unternehmenskultur gesehen. Doch auch hier geht Netflix andere, will heissen extremere und unkonventionellere Wege: Kritisches Feedback ist nämlich nicht nur erwünscht, sondern sogar ein Muss. obligatorisch, und zwar gegen unten und oben. Auch hier erstaunt die Begründung: Wer nicht kritisch ist, ist gegenüber dem Unternehmen nicht loyal. Wer gegen den Willen eines Vorgesetzen ein Projekt dennoch erfolgreich realisiert, wird gefeiert. Wer scheitert, muss die Gründe und Fehler aber selbstkritisch zur Sprache bringen, damit für andere Lerneffekte entstehen. So praktiziert man eine konsequente Fehlerkultur, die nicht nur Kritik, sondern auch Lernprozesse fördert.
Nur die Besten sind gut genug
Netflix will und akzeptiert nur die Besten. Wer den hohen Ansprüchen nicht genügt, verlässt das Unternehmen jeweils schnell, sowohl aus eigener Entscheidung wie auch auf sanften Druck von Vorgesetzten. Man könnte meinen, dass damit der Leistungsdruck zu hoch werden könnte. Doch laut Netflix und ehemaligen Mitarbeitenden führt dies eher dazu, Ehrgeiz und Leistungsbewusstsein von Mitarbeitenden noch stärker zu fördern, zu den Besten der Besten zu gehören. Die Folge ist eine recht hohe Fluktuationsquote von 12 Prozent, doch es gibt vor allem in den USA Branchen und Unternehmen, welche auch ohne Auslese der Besten um einiges höhere haben.
Bessere Löhne als anderswo
Netflix bezahle Löhne, die weit über dem Durchschnitt liegen. In Einstellungen werden Lohnverhandlungen gar nicht erst geführt, sondern die attraktiven Löhne als Arbeitgeberstärke ins Feld geführt, sich für Netflix zu entscheiden, vorausgesetzt man genügt den hohen Anforderungen und dem hochgradig unkonventionellen Cultural Fit. Im Gegenzug will Netflix die Löhne allfälliger späterer Konkurrenten erfahren, womit man sicherstellt, auch bei Salären besser als die Konkurrenz zu sein. Employer Branding also, welches sich an Fakten des Arbeitsmarktes orientiert.
Wer nicht genügt, muss gehen
Um zu garantieren, dass wirklich nur die Besten bei Netflix arbeiten, wird der sogenannte Keeper-Test praktiziert. Bei der Beurteilung von Mitarbeitern müssen die Vorgesetzten sich die Frage stellen: «Wenn diese Mitarbeiterin morgen kündigte, würde ich mich bemühen, sie umzustimmen? Ist das nicht der Fall, muss ein Mitarbeiter das Unternehmen verlassen. Auf diese Weise wird eine Leistungs- und Hire & Fire-Kultur gefördert, die auch viele Schattenseiten haben muss, selbst in der amerikanischen Leistungsgesellschaft. Der Keeper-Test ist selbst im ultrakapitalistischen Silicon Valley umstritten. Der Netflix-Chef will damit aber sicherstellen, dass die Talentdichte und das Leistungsbewusstsein permanent hoch bleiben und die Unternehmenskultur als Ganzes wirksam bleibt. Sympathisch ist aber, dass Netflix gegenüber Angebern und Selbstdarstellern eine starke Abneigung hat.
Skepsis gegenüber Homeoffice
Dank Corona hat Netflix 15 Millionen neue Abonnenten gewonnen, wochenlange Selbstquarantäne und daher entsprechend unersättlicher Unterhaltungskonsum sei dank. Doch das Homeoffice ist bei Netflix unpopulär. Auch hier hat das Unternehmen klare Gründe, weshalb: Es vermindere die Diskussionen, den Ideenaustausch und die Kommunikation als Ganzes zu sehr. Netflix will keine Einzelkämpfer, sondern Teams, die sich sportlich messen und miteinander reden. Ein wenig entgegenkommen will man aber dennoch: Nach Corona soll Homeoffice für jene, die es wünschen, für einen Tag in der Woche dennoch möglich sein.
Schattenseiten einer solchen Unternehmenskultur
Erzeugt eine solche Unternehmenskultur aber nicht ein Klima der Angst, einen Leistungsdruck, der auf Dauer nicht auszuhalten ist oder ein Regelkorsett, welches die Freiheiten einfach auf andere Weise einengt und Mitarbeitende indoktriniert? Mitarbeiterumfragen zufolge sollen Netflix-Mitarbeitende allerdings überdurchschnittlich zufrieden sein mit ihrem Job und die Schattenseiten dieser Unternehmenskultur nicht als Druck empfinden. Dies mag allerdings auch damit begründet sein, dass jene, die mit dieser Kultur nicht kompatibel sind, ohnehin nicht lange im Unternehmen bleiben und die amerikanische Leistungsgesellschaft dies auch eher toleriert – und fordert.
Was man aber daraus lernen kann
Geht es um Kreativität, neue Ideen und unkonventionelle Arbeitsweisen und ein permanentes Hinterfragen von Leistungen, kann die Netflix Unternehmenskultur zweifellos mit Stärken und positiven Effekten aufwarten. Und Autonomie und weitgehende Freiheiten sind eben oft besonders für Topperformer und Spitzentalente besonders attraktive und gefragte Stärken einer Unternehmenskultur.
Aufrichtigkeit und exzellente Mitarbeiter sind nach eigenen Worten des Netflix Chefs Reed Hastings die wesentlichen und zentralen Faktoren für Spitzenleistungen und konstantem Unternehmenserfolg. Vieles mag in amerikanischere und damit nur bedingt übertragbarer Arbeitskultur liegen, aber Grundsätze wie Vertrauen, Freiheiten und das Hochhalten von Leistungen und Kritik sind aber auch für schweizerische und europäische Unternehmenskulturen durchaus übernehmbare und empfehlenswerte Prinzipien.
Diese Informationen basieren auf dem Buch von Red Hastings „Keine Regeln: Warum Netflix so erfolgreich ist“.
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