Human Resource Management

Das grosse Aufräumen im HR. Wo aber ist das Neue und Bessere?

Im HR wird in letzter Zeit beinahe im Monatstakt die Axt angesetzt. Gnadenlose Rationalisierer und Erneuerer wollen alte Zöpfe abschneiden.

Das Jahresgespräch soll verschwinden, das Arbeitszeugnis ist ebenso überflüssig und wenn man schon am Wegrationalisieren ist, kann man gleich auch noch das Motivationsschreiben entsorgen. Ob demnächst auch das Interview als reiner Zeitfresser ausgemacht und als ebenso obsolet betrachtet wird? Chatrobots machen das in einem Bruchteil der Zeit. Am Ende des Weges rationalisiert sich das HR vor lauter Übereifer selber weg.

HR-Instrumente müssen optimiert werden

Damit wir nicht missverstanden werden: Wir finden auch, dass etliche Instrumente im Human Resource Management – dazu  gehören auch die oben genannten – optimiert und leistungsfähiger werden sollten. Auch die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung müssen verstärkter genutzt und veränderte Bedürfnisse und Verhaltensweisen neuer Bewerbergenerationen im Onlinezeitalter ebenso einbezogen werden. Das HR braucht mehr Marketing und Frechmut, auch damit sind wir einverstanden.

Dabei aber nur die Axt hervorzuholen und in eine Abschaffungswut zu verfallen, sind die falschen Zeichen und Wege. Genauso wie ins Trudeln geratene Unternehmen nur mit Kosteneinsparungen und dem Ansetzen des Rotstifts bei Personalkosten keine Probleme lösen, tut dies auch das HR mit solchen Rundumschlägen von Abschaffungen und Wegrationalisierungen nicht. Gefordert sind vielmehr neue Wege, neue Ideen, Optimierungen und mehr qualitätsfördernde Effizienz. Solches erfordert zwar mehr Denkarbeit, Innovationsbereitschaft und Anstrengungen, als der Einsatz der Axt, bringt aber das HR definitiv weiter als Kahlschläge.

Für Wichtiges soll man sich Zeit nehmen

Auch im Recruiting kommen Schnellbewerbungen und 15-Sekunden-Bewerbungen auf. Immer schneller, immer einfacher und immer müheloser soll es werden und das gute alte Motivationsschreiben soll dabei auch verschwinden. Das Ziel dahinter ist, Bewerbungshürden abzubauen. Auf den ersten Blick ein sinnvolles Ziel, auf den zweiten aber kontraproduktiv und tendenziell auf lange Sicht wohl eher qualitätsmindernd. Soll Recruiting den Regeln der Suppenwürfelwerbung und Tinder Datingsystemen folgen, alles einfacher und müheloser zu machen und das Bewerben mit Wischbewegungen ermöglichen? Wir meinen nein. Wer etwas Wichtiges haben will, nämlich einen interessanten Job, der soll sich Zeit nehmen, einen gewissen Aufwand treiben und sich dafür anstrengen.

Hürden sind auch Qualitätsfilter

Weshalb? Hürden und Mehraufwände sind auch Qualitätsfilter, und zwar wichtige. Bei klickreduzierten Bewerbungen steigt wohl die Anzahl der Bewerbungen, die Qualität jedoch sinkt garantiert und das Risiko von Fehlbesetzungen zwangläufig auch, der Selektionsaufwand steigt und wertvolle Analysedaten fehlen ebenso. Man weiss aus dem Marketing, dass zu tiefe oder ganz wegfallende Hürden bei Probebestellungen die Umwandlung in Festbestellungen reduzieren oder bei Bestellverfahren die Retourenquoten massiv erhöhen. Deshalb baut man hier bei gewissen Produkten oder Kundengewinnungsinstrumenten bewusst Hürden ein.

Qualität nicht Quantität soll das Ziel sein

Mit anderen Worten: Mit der Digitalisierung soll man andere Wege gehen, die Qualität und Passung verstärken, aber nicht die Masse von Bewerbungen anschwellen lassen. Dazu gehören raffinierte Selektionsverfahren im Online-Bewerbungsprozess, welche beispielsweise auch den Cultural Fit beinhalten. Sie sollen deswegen nicht eine halbe Stunde dauern, aber kreativ und gut genug sein, um optimale Qualitäts- und Passungsfilter von Bewerbungen zu ermöglichen. Auch ein Schnuppertag oder Interview mit dem Team als Ergänzung stützen Entscheidungen fundierter und breiter ab. Dies erhöht die Effizienz im Recruiting und bei Bewerbungen die Qualität. Weniger war schon immer mehr, vor allem bei der Menge der Bewerbungen, das weiss niemand so gut wie Recruiter, die sich (zu) oft durch Berge unpassender Bewerbungen durchquälen müssen.

Motivationsschreiben – weg damit oder beibehalten?

Auch das gute alte Motivationsschreiben erfüllt auch heute noch seinen Zweck und bietet wichtige Mehrinformationen. Interessant ist dabei vor allem sofort zu erkennen, wie konkret eigene Bedürfnisse und Skills mit Anforderungen und Aufgaben einer Stelle in Verbindung gebracht werden. Es lässt sich damit auch ablesen, wie sehr sich Bewerber um die Stelle bemühen und wie wichtig sie ihnen ist. Aber auch hier kann und soll man sich Neues einfallen lassen. Man kann bei gewissen Stellen, wo es wenig Sinn macht, darauf verzichten, um beispielsweise Bewerber mit weniger guten Sprachkompetenzen nicht zu benachteiligen. Oder Bewerber konkret informieren, welche drei Fragen man in einem Bewerbungsschreiben beantwortet haben möchte.

Möglichkeiten neuer und verbesserter Methoden

Um beim Motivationsschreiben zu bleiben: Ein aussagekräftiges Videoportrait, ein spielerisches Motivationspuzzle, ein Chat-Vorgespräch mit mehreren Bewerbern oder ein interessanter Multiple Choice-Kurztest können online alternative und innovative Wege sein. Damit macht das Bewerben mehr Spass, hilft dem Bewerber bei der Eignungsbeurteilung der Stelle und stellt dem Recruiter nebst weniger dafür qualitativ besseren und passenderen Bewerbungen auch noch mehr Daten für genauere und schnellere Analysen und damit fundiertere Entscheidungen zu Verfügung.

Auch hier gilt: Nicht quantitative Faktoren wie das Einsparen von Zeit und Reduzieren von Klicks soll das Ziel sein, sondern qualitätsfördernde neue Methoden und Wege, welche für das Recruiting die Selektion verfeinern und die Qualität von Bewerbungen erhöhen. Qualität anstelle von Quantität – das war schon immer der bessere Weg.

Wir sind uns sicher: Der Hype des Abschaffens und Entsorgens wird bald vorbei sein. Schon jetzt gibt es nicht wenige Unternehmen, die beim Performance Management wieder zu den alten bewährten Systemen zurückkehren, weil sie erkannt haben, dass Klicksysteme mit Instant-Feedbacks eben doch nicht das Wahre oder bestenfalls Ergänzungen sind.

 


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