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Werden Verlage das digitale Zeitalter überleben?

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Verlage sehen sich einem disruptiven Wandel gegenüber, der beinahe alle bisher gültigen Regeln und Geschäftsmodelle auf den Kopf stellt. Das beginnt schon damit, dass Verlage keine solchen mehr sind, sondern Medienunternehmen oder vielmehr solche werden müssen, wenn sie überleben wollen.

Leser und Konsumenten werden immer anspruchsvoller und deren Bindungsbereitschaft an Medienmarken tendiert gegen Null. Verlage werden zu Technologieunternehmen und Journalisten sind der Diktatur und Macht von Likes und neuerdings sogar Fake-News ausgesetzt. Die Monetarisierung von digitalen Inhalten ist nach wie vor ungelöst. Anzeigen-Umsätze im Printbereich brechen weg und deren Auflagen sind rückläufig. Der Informationskonsum fragmentiert sich auf immer mehr Medienformen und Medienquellen.

Hinzu kommt die Gratiskultur des Internets und vor allem auch das Überangebot an Informationen. Dieses Überangebot und das explosives Wachstum entwerten Inhalte, was viel zu wenig thematisiert wird. Möglicherweise ist dieser schleichende Wertezerfall das grösste Problem und eines, welches auch die raffiniertesten Bezahlmodelle und der beste Qualitätsjournlismus nicht lösen kann.

Wie wichtig ist Qualitäts-Journalismus überhaupt noch?

Traditionelle Verlage werden nicht müde, als Ausweg die Qualität des vertiefenden und hochwertigen Journalismus zu proklamieren. Nur, wie realistisch ist dieser vermeintliche Schlüssel für den Erfolg des Journalismus im digitalen Zeitalter überhaupt? War Qualität nicht immer schon eine Grundvoraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg und die Kundenakzeptanz? Ist Qualität denn überhaupt in der Masse des heutigen Überangebotes an Informationen noch erkennbar?

Und jetzt wird es ketzerisch: Ist er in einer Zeit des Instantkonsums von Informationen und Facebook-Journalismus überhaupt noch erwünscht und ein wirklich relevantes Bedürfnis des Durchschnittskonsumenten? Will dieser vielleicht nicht vielmehr das Aufregende, das Spannende, das Aussergewöhnliche, möglichst auch noch für Sharings und Likes? Wie wichtig wird Qualität noch eingestuft, wenn in Zeiten von Fake-News nicht einmal mehr der Wahrheitsgehalt von Informationen eine besonders wichtige Rolle zu spielen scheint?

Sind neue und andere Anforderungen wichtiger?

Fragen über Fragen. Und gleich noch eine wichtige dazu: Vielleicht liegen die neuen Anforderungen des digitalen Zeitalters für Medienunternehmen ganz woanders. Was wird für Konsumenten bei Überangeboten, in denen man sich und die Orientierung verliert, zum Hauptproblem? Genau, die Selektion der für sie individuell relevanten Informationen und Inhalte. Die einfache und schnelle Selektion des Gewünschten in einer Zeit, in der die Zeit für Informationsaufnahme und -verarbeitung immer knapper, das Angebot aber immer grösser wird. Das Beste und individuell Interessanteste in Sekundenschnelle. Nach den Gesetzen der Logistik: Das Gewünschte und Richtige zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Form.

Wenn man sich im Informationsdschungel verliert

Noch immer werden wir – auch bei Google-Sucheingaben – von Tausenden von Suchtreffern erschlagen und klicken uns durch Dutzende von Webseiten. Noch immer müssen wir endlose Seiten durchscrollen, bis wir auf die uns interessierenden Themen stossen. Noch immer ist es ein Riesenzeitaufwand, zu erfahren, ob die interessanteste, aktuellste und detaillierteste Reportage zum Klimawandel nun im TV, im neuesten Buch von Al Gore, in einem Leitartikel der Tageszeitung, einem Fachmagazin, in einem Youtube-Referat oder Umwelt-Blog zu finden ist. Und noch immer bleiben bis zu 80 Prozent redaktioneller Inhalte, und zwar on- und offline, für 80 Prozent der Leser viel zu oft ungelesen und unbeachtet, weil sie individuelle Informationsbedürfnisse, auch im Zeitalter von Algorithmen und KI, nicht genügend differenzieren.

Individualisierte und massgeschneiderte Angebote

Das heisst in letzter Konsequenz, Substanz und Qualität, und seien sie qualitativ noch so gut, genügen nicht, um im digitalen Journalismus und disruptiven Wandel der Medienbranche zu überleben. Sie werden als selbstverständlich vorausgesetzt. Oder sie gelten längst nicht für alle, sogar eher nur für eine Minderheit. Ohne Zeitverlust und langes Suchen und Blättern aber das individuell Interessierende und vor allem auch aktuell Benötigte zu erhalten, könnte die wirkliche Kernaufgabe heutiger Medienunternehmen sein, und zwar sowohl für den Journalismus wie auch Fachverlage wie wir vom PRAXIUM Verlag einer sind. Und dies gilt nicht nur für Themen und Inhalte, sondern auch die Medienformen, die Aktualität, den Anspruchsgrad und den Zeitpunkt und Zeitaufwand des Informationskonsums. Der zwanzigjährige Facebook Nutzer bevorzugt ein fünfminütiges Video, der politische anspruchsvolle Leser eine Hintergrundreportage und der Soziologie-Student ein Abstract.

Amazon und erste Startups scheinen das Problem zu erkennen

Amazon scheint das Problem erkannt und verstanden zu haben. Personalisierte Newsletter orientieren sich an aktuellen Sucheingaben im Buchshop und verarbeiten diese, sie registrieren die Themen und Umfänge gekaufter Bücher und informieren über Neuerscheinungen von Autoren gekaufter Bücher. Neuerdings weiss Amazon sogar, welche E-Books zu Ende gelesen und welche abgebrochen wurden und verarbeitet Leser-Notizen, was die Individualisierung der Angebote noch stärker präzisiert und vorantreibt.

In eine ähnliche Richtung geht auch das Startup Jornu aus Berlin, welches den Lesern ermöglicht, ihren Lieblingsreportern zu folgen, keinen Artikel zu verpassen und sich so eine eigene Redaktion aufzubauen. Anhand des Leseverhaltens erkennt auch die bezeichnenderweise zu Amazon gehörende Washington Post mit einer neuen Software, ob man Politikjunkie ist oder sich zum ersten Mal mit dem politischen Thema beschäftigt und spielt entsprechend unterschiedliche Inhalte aus.

Trotz Algorithmen und KI funktionieren diese Wege und Modelle zwar nach wie vor nicht wirklich konsequent massgeschneidert, aber der eingeschlagene Weg könnte der richtige sein. Der Erfolg von Amazon mit personalisierten Informationen und solche von Jornu beweisen es. Vielleicht sind ihre Strategien auch für Medienunternehmen der Schlüssel zum Erfolg, oder zumindest einer davon?

Marco De Micheli
Verlagsleiter PRAXIUM Verlag

 

Der PRAXIUM Verlag ist der Fachverlag zum Personalmanagement und hrmbooks.ch die HR-Online-Fachbuchhandlung mit einem redaktionell recherchierten und praxisorientierten Fachinformations-Angebot. Einige Blog-Beiträge sind auch Auszüge daraus oder Beiträge seiner Autoren.

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