Facebook wird auch im Recruiting von vielen als die Werbeplattform der Stunde – und Zukunft gesehen. Doch dies dürfte aus vielen Gründen eine Fehleinschätzung und ein Irrtum sein. Dafür gibt es schon heute zahlreiche Fakten, Trends und Zahlen. Eine kritische Sichtweise.
Eine kürzlich publizierte Studie von Sage holt viele „Social-Media-Propheten“ auf den Boden der Realität zurück: Ein Teilergebnis ist, dass die beliebteste Informationsquelle für offene Stellen nach wie vor über informelle Kontakte geht, gefolgt von den guten alten klassischen Printmedien. Schlusslicht mit nur 10 % waren Social Media-Instrumente und -plattformen, wobei hier Facebook mit unter 5% gar die tiefste Beachtung fand. Aktuell ist die Nachricht, dass über 10’000 junge Schweizer in den letzten zwei Monaten ihr Facebook-Profil deaktiviert haben und Wachstum nur noch bei über 30jährigen stattfindet.
Auf Seite der HR-Professionals war das Ergebnis übrigens ähnlich ernüchternd. In den USA und auch anderswo macht sich Facebook-Müdigkeit breit und Datenskandale haben das Vertrauen in den Netzwerkriesen ebenfalls erschüttert. Auch die überbordende Werbung führt vor allem bei jugendlichen Nutzern zu viel Ärger. Grosse Unternehmen, auch im Recruitingbereich, haben zudem wegen fehlenden Erfolges ihre Facebook-Werbung längst schon wieder eingestellt.
Spricht man bei Facebook auf Stellenangebote an?
Doch es gibt auch sachliche Gründe, die Eignung und Leistungsfähigkeit von Facebook für das Recruiting anzuzweifeln und kritisch zu betrachten. Beurteilt man Medien als geeignete Rekrutierungskanäle, gelten als wichtigste Kriterien die Zielgruppe und das redaktionelle bzw. inhaltliche Umfeld. Zielgruppen von Facebook sind vorwiegend Private, welche das Netzwerk auch für private Zwecke nutzen – und eine exakte Ausrichtung auf genaue Kandidatenprofile ist daher nur schwer und oft gar nicht möglich, denn Facebook ist ein Massen-Netzwerk ohne klares Nutzerprofil. Diese Ausrichtung auf Private belegen auch die kürzlich eingeführten Neuerungen.
Das Umfeld ist wichtig und für Beachtungen entscheidend
Und auch das inhaltliche Umfeld besteht mehrheitlich aus Plaudereien, Fotoveröffentlichungen, letzten News aus der letzten Party und dergleichen. In einem solchen Umfeld dürfte die Bereitschaft gering sein, sich mit beruflichen Fragen auseinanderzusetzen und ein Arbeitgeber-Branding wohl recht quer in der digitalen Landschaft liegen. Ein Arbeitgeber-Portrait, und sei es noch so ansprechend und professionell, passt nun einmal nicht zu Partyeinladungen und Happy-Birthday-Wünschen und findet in dieser Ambiance wohl auch nicht viel Beachtung und Interesse. In der Werbung weiss man schon lange, dass man für gute Werbung das richtige Umfeld benötigt.Ein typisches Beispiel für diese These ist diese Aussage eines Facebook-Nutzers: „Die Werbungen in Facebook nerven.
Ich bin nicht bei Facebook, um irgendwelche Dinge zu kaufen und langweilige Anzeigen zu lesen, sondern um mit Freunden in Kontakt zu sein und meine Freizeit zu beleben. Da nervt Werbung nur noch, auch Firmen und Angebote bleiben so sogar in negativer, weil störender Erinnerung“. Dies gilt wohl nicht nur für den Produktekauf, sondern auch für das Recruiting.
Vorsicht Datenmissbrauch und Offenlegung der Privatsphäre
Ein weiteres Problem ist der durch die Datensammelwut von Facebook als „Datentaubsauger“ und die diesbezüglich steigende Skepsis vieler seiner Nutzer. Facebook lässt seine Mitglieder im Dunkeln, was mit deren Daten überhaupt geschieht. Hier agiert Facebook oft in der Grauzone der Legalität, indem ihm mit der Teilnahme gar eine weltweite Lizenz für die Nutzung jeglicher IP-Inhalte übertragen wird.Und nur wenige wissen, dass Facebook und Co. aus digitalen Details umfassende Persönlichkeitsprofile filtern. Ist der Datenschutz nur mangelhaft und weist die Privatsphäre zu viele Löcher und Fragezeichen auf, wird von Stellensuchenden und Arbeitgebern zu Recht Zurückhaltung an den Tag gelegt. Nicht wenige Unternehmen sperren Facebook-Zugänge übrigens auch aus Risikogründen sogar, Sicherheitslücken und Datenspionage ausgesetzt zu sein.
Welche Daten Facebook für wen zu welchem Zweck wie sammelt – und vor allem an wen verkauft -, weiss der Nutzer nicht, was zu grosser Zurückhaltung führt. Hinzu kommt, dass Facebook die vollumfängliche Löschung von Daten praktisch verunmöglicht und auch gelöschte Accounts weiter genutzt werden. Und wenn Facebook, wie gerade zur Zeit des Verfassens dieses Artikels, seine Kunden dazu anhält, Freunde zu melden, die sich verdächtig verhalten, weil
sie Pseudonyme nutzen, kommt dies nahe an eine Aufforderung zur Bespitzelung und ist einmal mehr weder eine vertrauensbildende noch seriöse Massnahme.
Was geschieht mit Userdaten und wofür werden sie eingesetzt?
Die Nutzerdaten von Facebook sind nur schwer zu beurteilen und wenig transparent und sind so oft keine gute Grundlage für eine zuverlässige und professionelle Medien- und Zielgruppenanalyse. Ferner sind nirgendwo im Web so viele potenzielle Opfer versammelt wie bei Facebook, was die Missbrauchsgefahr erhöht; viele Anwender klicken reflexartig auf Links in Facebook-Nachrichten und Pinnwandeinträgen, da Botschaften von Freuden stammen und deswegen als vermeintlich vertrauenswürdig betrachtet werden. Facebook mangelt es zuweilen auch an Professionalität und Sorgfalt, wenn es um Datenhandling geht, die Suchmöglichkeiten sind mangelhaft und Mobile-Apps sind teils schlecht gepflegt. Auch andauernde Privacy-Einstellungen verunsichern Nutzer oft.
Rechnen sich Facebook-Rekrutierungskosten überhaupt?
Aufwand und Kosten für ein professionelles Konzept einer Recruiting-Strategie und den Aufritt und die Pflege einer Präsenz sind erheblich und dürften einer Kosten-Nutzen-Analyse oft wohl kaum standhalten und in keinem Verhältnis zur Qualität und Quantität von Bewerbungen stehen. Allerdings muss man hier sehen, dass geeignetere Tools in Zukunft häufiger entwickelt werden, so gibt es beispielsweise bereits speziell für Facebook entwickelte Mitarbeiter-werben-Mitarbeiter-Addons.
Unklar sind für Unternehmen oft auch die Funktion und Ziele, welche Facebook für sie denn überhaupt erfüllen soll – geht es um das Employer Branding, die klassische Personalsuche, ist es eher der Aufbau eines Talente-Netzwerkes oder letztlich eine Unternehmenspräsenz mit Public Relation-Intentionen? Solche Fragen sind oft ungeklärt und nicht selten bestehen unklare Wischiwschi-Präsenzen, die Nutzer, nebst dem anzunehmenden geringen Beachtungswert, mehr verwirren als informieren. Aber auch Facebook bietet hier nur wenig bis keine Strukturen oder Orientierungshilfen.
Die Zukunft gehört spezialisierten Netzwerken
Bei bestimmten Zielgruppen mag Facebook als Teil eines gesamten Recruiting-Mix je nach Kandidaten-Zielgrupppen durchaus seine Berechtigung haben. Gut möglich oder unseres Erachtens wahrscheinlicher ist es aber, dass sich auf Dauer spezialisierte Netzwerke – sogenannte Special-Interest-Netzwerke – mit bestimmten Themenprofilen und Zielgruppenausrichtungen herausbilden werden – also auch im Bereich des Human Resource Managements und Recruitings.
In solchen spezialisierten HR- bzw. Arbeitswelt- und Berufs-Netzwerken könnte dann Personal gesucht und Profile angeboten und Talente-Netzwerke gepflegt werden, Employer Branding-Kampagnen und Arbeitgeberbewertungen möglich sein und Mitarbeiter aus ihren Unternehmen berichten, Erfahrungen über Weiterbildungen austauschen oder in Sekundenschnelle unter Hunderttausenden jener Arbeitgeber gefunden werden, der Personal mit einer hochspezifischen Ausbildung in Solartechnologie oder solche mit taiwanesischen Sprachkenntnissen sucht – um nur einige der zahlreichen Möglichkeiten zu nennen. Mit Linkedin und Xing als reine Business-Netzwerke zeichnet sich eine solche Entwicklung, die bei Medien oft stattfindet, bereits ab. Vertieft und mit Studien setzt sich der Beitrag „Social Media Recruiting: Wie viel Hype und wie viel realer Nutzen?“ bei metaHR ebenfalls mit dem Thema auseinander.
Sind Ihr Erfahrungen andere? Haben Sie eine andere Meinung? Nutzen Sie das Kommentarfeld, um diese kundzutun.
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